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Dr. Carl Strutinski
Zwei Jahrhunderte Geologie
Von Abraham Gottlieb Werner zu Samuel Warren Carey
Samuel Warren Carey, eine persönliche Sicht

Es bedarf einer nicht allzu großen Beobachtungsgabe, um bei der Durchsicht dieses geschichtlichen Rückblicks festzustellen, dass die Plattentektonik unter den modernen geotektonischen Hypothesen am anschaulichsten bebildert wurde. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Sie ist die heute fast unumschränkt akzeptierte, schon als Theorie gehandelte Hypothese. Wie auch sonst in unserer erfolgsorientierten Gesellschaft wird auch in die salonfähigsten Theorien, ganz gleich ob zu Recht oder Unrecht, viel Geld investiert, während die konkurrierenden Ideen meist ein Kümmerdasein führen müssen. So gibt es eine Unmenge hervorragend produzierter Lehrbücher, die die Plattentektonik vorstellen, reich bebildert mit erstklassigen Fotos und Grafiken, die sich die Verlage einiges haben kosten lassen. Dagegen sind Bücher, welche konkurrierende Ideen vorstellen, eher schlicht und wenig ansehnlich. Ist eigentlich nicht zu verwundern, wenn man bedenkt, dass die Kosten des Druckens oft von den Autoren selbst getragen werden müssen, die es auch sonst schwer haben, ihre Untersuchungen und Erkenntnisse in den bekanntesten wissenschaftlichen Zeitschriften unterzubringen. Die Globalisierung zeigt hier ihre wenig erfreuliche Kehrseite. Es scheint so zu sein, dass gegenüber den von akademischen Instanzen abgesegneten wissenschaftlichen Standpunkten konkurrierende Hypothesen es heute viel schwerer haben, in den Kreis der Öffentlichkeit zu treten als vor hundert Jahren. Wir stehen aber heute genau wie vor hundert Jahren, als Wegener seine revolutionierende Drifthypothese publizierte, an einem Wendepunkt, in einer Krise der Ideen der geologischen Entwicklung, obgleich die Plattentektoniker das nicht wahr haben wollen. Aber das wollten seinerzeit auch die damals „herrschenden“ Kontraktionisten nicht wahr haben. Und es hat noch ein halbes Jahrhundert gedauert, bis sie schließlich die Segel streichen mussten.

Wie in den vorausgegangenen Seiten dargestellt, hatte die Krise der Kontraktionshypothese eine recht große Vielfalt dagegen ankämpfender Hypothesen hervorgebracht. In der heutigen Zeit sind es eigentlich nur die Expansionshypothese sowie die Aufwallungshypothese und die Globale Dralltektonik, die sich der Plattentektonik entgegenstellen. Nicht zu übersehen ist, dass jede der drei von Einzelgängern aufgestellt wurde, sieht man von einigen Vorläufern der Expansions-hypothese ab: Samuel W. Carey, Arthur A. Meyerhoff und Karsten Storetvedt.

Hier soll jetzt bloß über Carey, den Wichtigsten von ihnen, den „last of the giants“ (Andrew Alden) unter den Geologen des 20. Jahrhunderts kurz berichtet werden. Es gibt keine ernst zu nehmende Auflistung der geologischen Berühmtheiten dieses Jahrhunderts, die Carey nicht an vorderster Stelle aufführt. Und das trotz des Umstandes, dass er ein Häretiker war, der bis an sein Lebensende einige der wichtigsten Aussagen der Plattentektonik bekämpfte.

Umso glücklicher schätze ich mich, ihn persönlich gekannt zu haben. Erstmals von ihm gehört hatte ich 1981 von einem polnischen Geologen. Kurz darauf bestellte ich mir sein Buch „The Expanding Earth“, eine kostspielige Angelegenheit zu jener Zeit in Rumänien. Und 1984 trat ich schließlich mit ihm in Briefkontakt. Er arbeitete gerade an seinem Buch „Theories of the Earth and Universe“ und fand sich nicht zu schade, er, ein verdienter Professor, 73 Jahre alt, mir, einem völlig unbekannten rumänischen Geologen, sein Manuskript zur Durchsicht zuzuschicken. Danach trug er mir sogar an, sein Buch ins Rumänische zu übersetzen, wenn es denn Interesse erwecken sollte. Die Autorenrechte wollte er mit mir zur Hälfte teilen. Die Antwort des Direktors des Buchverlags, der dafür in Frage kam, lautete ungefähr so: „Die rumänischen Geologen haben die neue Theorie der Plattentektonik angenommen, es ist nicht angebracht, sie jetzt mit so einem Buch zu verunsichern.“ Der Nämliche sollte ein paar Jahre später der erste Präsident der Republik in der Post-Ceausescu-Ära werden.

Als ich Carey dann neun Jahre später persönlich kennenlernte, war er ein behäbiger, mit sich völlig im Reinen wirkender, väterlicher Typ, der alles andere als verbissen und vergrämt daherkommt, wie man sich meistens einen ergrauten Häretiker vorstellt.

Es ist wahr, dass die von ihm vertretene Erdexpansion der Angelpunkt gewesen war, der mich bewogen hatte, ihn kennenzulernen. Doch darüber hinaus und wohl noch wichtiger war die Tatsache, dass er mir durch seine Beschreibungen und aussagekräftigen Grafiken vermitteln konnte, was genau Bewegung in geologischem Sinne hieß. Wie die kompliziertesten „gefalteten“ Strukturen im Grundgebirge der Orogene wirklich entstehen, davon hatte ich, bis ich Carey kennenlernte, völlig falsche Vorstellungen beziehungsweise keinen blassen Dunst. Man sieht meist eine Falte vor sich im Gestein, und unwillkürlich denkt man an Zusammenschub und Faltung, ähnlich wie man ein Blatt Papier falten könnte. Doch die Falten des Grundgebirges sind gar keine Falten, sondern entstehen durch Fließ- und Gleitprozesse, bei denen Stromlinien eine Rolle spielen (Bild).
Solcherart veranschaulicht, bekam die „Faltung“ für mich eine völlig neue Bedeutung: Ich wurde vollständig von einer weit verbreiteten „Krankheit“ der Geologen befreit, die überall in den gefalteten Strukturen der Orogene Einengung sehen lässt.

Um welche Größenordnungen es geht, wenn ganze Gebiete entlang von Seitenverschiebungen verfrachtet werden, habe ich auch anhand der Darstellungskunst Careys erstmals richtig begriffen (Bild).
Wenn nun ein bestimmtes Gestein zu verschiedenen Zeiten wiederholt einem solchen „Faltungs“-Vorgang unterworfen war, kommen Strukturen zustande, die an Kompliziertheit ihresgleichen suchen und den Unkundigen an starke Einengung unter seitlichem Druck denken lassen (Bild).
Ich könnte noch viele andere Beispiele erwähnen, in denen mir Carey durch sein grundlegendes Werk die Augen geöffnet hat, doch lasse ich es bei den oben genannten bewenden. Umso unglücklicher ist die Tatsache, dass er, infolge seines Häretikertums, nie die Gelegenheit bekam, ein Buch unter solchen grafischen Bedingungen herauszubringen, wie sie den Plattentektonikern zuhauf angeboten werden. Seine Ideen hätten ein viel breiteres Publikum erreicht, und ihre Nachhaltigkeit wäre eine andere gewesen. Dessen ungeachtet sind aber viele seiner erstmals geprägten geologischen Begriffe wie Oroklin, Rhombochasm, Sphenochasm, Nematath u.a. in den Wortschatz alltäglicher geologischer Forschung eingegangen.

Wenn ein Eduard Suess die unbestrittene Autorität auf dem Gebiete der Geologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewesen ist, dann kommt die gleiche Rolle ein Jahrhundert später mit Fug und Recht Sam Carey zu. Er hat seine Lehrjahre im Dschungel Neuguineas auf eine glanzvolle Weise in hohes Wissen umzumünzen verstanden und sich schließlich wie kein anderer Geologe seiner Zeit – ähnlich anderen hochkarätigen Wissenschaftlern – auf die Gebiete der Kosmologie und Philosophie begeben und auch dort wichtige Denkanstöße hinterlassen.
LITERATUR

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Entstehung einer „Falte“ aus einem geschichteten Gesteinspaket. Unten: die Ausgangsposition. Oben: die durch differentielle Bewegung („Fließen“) entlang von stromlinienförmigen Bahnen entstandene „Falte“. Seitliche Einengung ist hier nicht beteiligt
(aus Carey, Manuskript zum Buch „Theories of the Earth and Universe“)
Eine geschichtete Struktur (ganz unten, 5a), die zwei aufeinanderfolgenden „Faltungen“ unterworfen war. Die Form der beiden „Faltungen“ ist durch die farbigen Muster wiedergegeben (5d,e). Falls die erste „Faltung“ die mit Rot gekennzeichnete ist, entsteht in erster Phase das Bild gleich über der ungefalteten Ausgangsposition (5b). Die darauffolgende „Faltung“ nach dem blauen Muster verwandelt die Struktur wie im darüber gelegenen Bild ersichtlich (5c). Wenn die „Faltungen“ in umgekehrter Reihenfolge erfolgten (Blau vor Rot), entsteht das Bild oben (5f)
(aus Carey, Manuskript zum Buch „Theories of the Earth and Universe“)
Das Appalachen-Orogen und seine Fortsetzung im Kaledoniden-Orogen Großbritanniens vor der Existenz des Atlantischen Ozeans. Man sieht wie die Britischen Inseln sich zwischen Ordovizium und Perm um Tausende Kilometer nach Nord-Ost verlagert haben
(aus Carey, Manuskript zum Buch „Theories of the Earth and Universe“)
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